Das Hochzeitskreuz

Ein klarer Wintertag stand über der spiegelglatt gefrorenen Fläche des Wolfgangsees. Frau Methe, von den Ortsbewohnern die böse Marthe genannt, weil ihre Streitsucht und Bosheit allgemein bekannt und gefürchtet waren, und die man sogar des Bundes mit dem Teufel beschuldigte, traf die letzten Anstalten für die Hochzeit ihrer Tochter Käthe, um die der stattliche Junker Stollhammer aus St. Gilgen geworben hatte. Die Trauung sollte schon in acht Tagen stattfinden. Wohl war es ein gewagtes Unternehmen, Schwiegersohn der bösen Marthe zu werden, aber die Anmut und Schönheit des lieblichen Käthchens wogen alle Bedenken auf. Der verliebte Jüngling hätte noch mehr getan, als eine böse Schwiegermutter mit in Kauf zu nehmen.

Mit eifrigen Vorbereitungen vergingen die letzten Tage vor dem Fest, Verwandte und Freunde aus nah und fern wurden feierlich eingeladen, und alles war für die Hochzeit bereit. Da brach in der Nacht vor dem Hochzeitstag in der Scheune Frau Marthes ein Brand aus, der, genährt vom Wind, rasch um sich griff, so daß Haus und Hof samt allen Zurüstungen zum Fest ein Raub der Flammen wurden. Binnen weniger Stunden war das stolze Anwesen ein Trümmerhaufen, den die vergebens zur Hilfeleistung herbeigeeilten Dörfler zischelnd und flüsternd umstanden.

„Ja“, meinte einer, der sich besonderen Ansehens zu erfreuen schien, „ich hab‘ mir’s immer gedacht, unrecht Gut gedeiht nicht, und mit rechten Dingen ist es bei dem Reichtum der bösen Marthe gewiß nicht zugegangen; kein Wunder, daß es ein so erbärmliches Ende damit genommen hat.“

„Sicher ist das ein Werk des Teufels“, warf ein anderer ein, „der nun Abrechnung mit ihr halten will.“

„Ach was“, fügte ein dritter Mann hinzu, dem die Genugtuung über das Unglück, das die verhaßte Frau Marthe getroffen hatte, auf dem Gesicht geschrieben stand, „die Alte war ein Teufelsbraten und hat diese Strafe längst verdient.“

So ging es von Mund zu Mund; keiner fand sich, der ein Wort des Mitleids für die schwer getroffene Frau gehabt hätte.

Da erschien plötzlich Marthe mit angebrannten Kleidern und verrußtem Gesicht mitten zwischen den rauchenden Trümmern. Ängstlich zog sich die Menge, den bösen Blick der gefürchteten Frau scheuend, weiter zurück. Diese aber erhob ihre Stimme und stieß die gräßlichsten Verwünschungen gegen den Himmel und sein Walten aus, verfluchte alles, was den Menschen teuer und heilig ist, und geriet in immer größeres Rasen. Vergebens beschworen sie einige der zum Fest geladenen Verwandten, sich zu mäßigen und so gräßliche Worte zu unterlassen. Das Weib war nicht zur Besinnung zu bringen und schloß mit dem vermessenen Ausruf: „Und das Hochzeitsfest meiner Tochter soll doch stattfinden! Wenn ich schon keine Kammer mehr habe, die Feier zu begehen, so will ich doch sehen, ob mir das Wasser ebenso feindlich gesinnt ist wie das Feuer. Dort auf der Eisdecke des Wolfgangsees wollen wir die Hochzeit halten.“

Alle Einwendungen der Hochzeitsgäste blieben fruchtlos. Sofort ließ die Brautmutter die Vorbereitungen zum Tanz auf dem Eis treffen. Als der Junker Stollhammer mit seiner Begleitung eintraf, um die Braut abzuholen, war er nicht wenig bestürzt über die Zumutung, das Hochzeitsfest unter freiem Himmel auf dem Eis des abgrundtiefen Sees zu begehen. Er bat und beschwor seine Schwiegermutter, die Feier wegen des Brandes zu verschieben, aber die sture Frau wollte nicht hören; sie bestand auf ihrem Vorsatz, das Fest auf dem Eis abzuhalten.

Der Tanz begann. Bald herrschte ausgelassene Lustigkeit auf dem ungewohnten Tanzplatz; unter fröhlichem Jauchzen wirbelten die Paare über das Eis; eine der übermütigsten Tänzerinnen war Frau Marthe. Beim Felsenriff am Seeufer hatte die Musikkapelle Aufstellung genommen und ließ unaufhörlich muntere Weisen ertönen. Nur Junker Stollhammer hielt sich mit seiner schönen Braut, die wie Espenlaub zitterte, unmutig abseits. Bange Ahnungen erfüllten die Herzen des Paares.

„Als vorhin die Mutter jene entsetzlichen Verwünschungen ausstieß“, flüsterte Käthchen mit Tränen in den Augen, „da schien es mir, als hebe sich eine schwarze Gestalt aus dem See und schüttle drohend die Faust gegen meine Mutter.“

Noch hatte das Mädchen nicht zu Ende gesprochen, da begann es im See plötzlich zu brodeln und zu kochen, mit einem Knall zerbrach die Eisdecke, und die böse Marthe samt allen Hochzeitsgästen versank spurlos im See. Im letzten Augenblick war es dem Junker noch gelungen, mit raschem Sprung, seine Braut mit sich reißend, das Ufer zu erreichen, wo beide totenblaß den Untergang der anderen mit ansahen.

Aus der Tiefe des Sees aber drang eine dumpfe Stimme an das Ohr der entsetzt Lauschenden: „Marthe, das Maß deiner Frevel ist voll!“

Käthchen sank ohnmächtig zu Boden und verfiel in eine schwere Krankheit, von der sie sich nur langsam erholte. Erst als sie wieder völlig gesundet, die Brandruine geschleift und jede Spur von Marthens Wohnhaus beseitigt war, hielt Junker Stollhammer mit seiner Braut feierlich und gottergeben Hochzeit in der Kirche des heiligen Ägydius zu St. Gilgen.

Zur Erinnerung an jenes schreckliche Erlebnis, das so vielen Menschen das Leben kostete, sowie zur dankbaren Erinnerung an seine und seiner Braut Rettung ließ Hans Stollhammer am Seeufer ein Kreuz errichten, das man das „Hochzeitskreuz“ nannte.

Quelle: Die schönsten Sagen aus Österreich, o. A., o. J., Seite 305